Die Abrechnung des kleinen Cäsar
Financial Times Deutschland
Einst beherrschte Cesare Geronzi Italiens Finanzwelt, 2011 dann wurde er bei Generali gestürzt. Jetzt rächt er sich in einem Buch.
Ihm sind schon viele Spitznamen in seiner mehr als 50-jährigen Karriere angehängt worden: "Doktor Koch" für seine Zeit bei der Banca d'Italia, die im Palazzo Koch in Rom zu Hause ist, "Weiße Feder", "Kardinal" oder auch der "kleine Cäsar". Cesare Geronzi, 77 Jahre alt, war einst der starke Mann des italienischen Finanzkapitalismus - bis zu seinem Fall im April 2011, als er beim Versicherungskonzern Generali als Verwaltungsratspräsident vom Hof gejagt wurde. Jetzt meldet er sich nach fast eineinhalb Jahren zurück. Am heutigen Mittwoch erscheint ein Buch, das ein langes Gespräch mit dem Journalisten Massimo Mucchetti vom "Corriere della Sera" wiedergibt. "Confiteor" heißt es. Wie ein Gebet aus der traditionellen katholischen Messe, in der sich der Gläubige zu seinen Sünden bekennt. Doch Geronzi teilt auf den ersten Auszügen aus den 362 Seiten eher aus, als dass er Fehler einräumt. Hart geht er ins Gericht mit all jenen, die er für seinen Rauswurf bei Generali verantwortlich macht. Mit Diego Della Valle, dem Chef des Lederwarenherstellers Tod's, mit Alberto Nagel, den Chef der Investmentbank Mediobanca, und mit Lorenzo Pellicioli, den Vertreter des Verlagshauses De Agostini. Es ist eine Abrechnung, zum Teil eine Verhöhnung. Rückblende. Geronzi, der die Bank Capitalia geformt und dann an Unicredit verkauft hat, rückt erst an die Spitze der Mediobanca und dann überraschend auch von Generali, den drittgrößten Versicherungskonzern in Europa nach der Allianz und Axa. Es ist eine Verbindung, die nicht passt. Auf der einen Seite Geronzi, der Banker aus Rom mit dem großen Ego, der vier Chauffeure sein Eigen nennt und auch mit dem Privatflugzeug reist. Auf der anderen Seite Generali, Sitz in Triest, wo heute noch die Erinnerung an die Habsburger Monarchie zu spüren ist und der Einzelne weniger zählt als das Kollektiv. Getreu dem Motto: "Die Personen gehen, Generali bleibt." Es dauert nicht lange, bis es zum Zerwürfnis zwischen Geronzi und dem Generali-Management kommt. Della Valle bildet die Speerspitze und bezeichnet Geronzi als "rüstigen Alten". Andere, wie die Mediobanca, folgen ihm. Am 6. April 2011 tritt Geronzi zurück und kommt so einer Vertrauensabstimmung zuvor. Es ist ein für Italien historisches Ereignis. In der Rückschau lässt Geronzi kein gutes Haar an Della Valle. "Er war der Abgesandte, obwohl er bis zum Ende geglaubt hatte, autonom zu handeln", diktiert Geronzi dem Journalisten Mucchetti in die Feder. "Della Valle hat mit viel Grobheit den Baum geschüttelt. Und sie haben ihn nicht einmal den Apfel aufsammeln lassen", sagt Geronzi. "Die", das sind für ihn die wahren Verschwörer in dieser "unglückseligen Geschichte", Mediobanca-Chef Nagel und De-Agostini-Vertreter Pellicioli. "Ihnen zitterte die Stimme, als sie mir um 9.30 Uhr die Nachricht meiner Demission überbrachten, kurz vor der Verwaltungsratssitzung", sagt Geronzi. Schon am Abend zuvor, am 5. April 2011, sei er über ihre Absichten im Klaren gewesen. Er sei mit Generali-Vizepräsident Vincent Bolloré verabredet gewesen. "Cesare, komm' zu mir gegen 20.30 Uhr, dann können wir mit Caltagirone zu Abend essen", sagt ihm der französische Geschäftsmann. Doch Francesco Gaetano Caltagirone, Aktionär und Verwaltungsrat wie Bolloré, erscheint nicht. Geronzi versteht sofort, dass sich Caltagirone auf die Seite seiner Gegner geschlagen hat. Im Amt ist er nun nicht mehr zu halten. "Ich ging schlafen. Meine Entscheidung hatte ich bereits gefällt. Ich wusste ja, was kommen würde." Geronzis Fall bei Generali steht - das wird auch bei den Auszügen aus dem neuen Buch klar - stellvertretend für den Wandel in Italien. Geronzi verkörperte das System, die enge Verzahnung zwischen Banken, Unternehmen und der katholischen Kirche. Schließlich war er ein Vertrauter der Nummer zwei des Vatikans, Tarcisio Bertone. Die Machtbasis zerfällt. Zwar langsam, aber unaufhörlich seit den 90er-Jahren. Das lässt sich gut illustrieren an der Mediobanca. Über Jahrzehnte bestimmt sie als einzige Investmentbank die Geschicke des Landes mit, ihr Netz an Beteiligungen ist legendär. In den 90er-Jahren verliert sie dann aber ihr Monopol. Inzwischen präsentiert sie sich als normale Bank, ihre Beteiligungen an Firmen hat sie reduziert. Der Familie von Bauunternehmer Salvatore Ligresti, zu der Geronzi enge Beziehungen unterhielt, wurde von Mediobanca-Chef Nagel dieses Jahr der Kredithahn zugedreht. Nach der Fusion zwischen der hoch verschuldeten Versicherungsgesellschaft Fonsai mit Unipol hat der einst mächtige Clan nichts mehr zu sagen. Geronzi dagegen schon, aber nur noch in literarischer Form. "Mit 77 Jahren habe ich erkannt, dass die Distanz zum Amt, das Macht verleiht, die Chance gibt, zu verstehen. Sie eröffnet die Möglichkeit, mit der Presse, der Gegengewalt zur Macht, ein Buch wie dieses über eben diese Macht zu schreiben", sagt Geronzi. "Das Leben ist schon seltsam."